Ma Jiangbao war der Sohn von Wu Yinghua und Ma Yueliang. Beide galten bereits zu Lebzeiten als Taiji-Legenden in China und darüber hinaus. Ma Jiangbao war der offizielle Nachfolger der Wu Taiji Linie. Für Europa war es ein großes Glück, dass ein Familienmitglied und Stammhalter einer der einflussreichsten Taiji Familien sich hier niederließ.
In 1986 war Ma Jiang Bao zusammen mit seinem Vater Ma Yueliang nach Europa gekommen. Sie folgten einer Einladung von „Tommy“, wie er hier genannt wird, einem chinesischen Schüler seines Vaters. Tommy war chinesischer Arzt und Buchladenbesitzer in Düsseldorf.
Für die ersten zwei Jahre seines Aufenthalts in Europa lebte Meister Ma Jiangbao in Düsseldorf. Aber dann lief sein Visum ab und musste er nach China zurückkehren. Er verschwand also eines Tages und niemand wusste genaueres, als dass er zurück nach China war. Seine Schüler eine gemischte deutsch-niederländische Gruppe waren als „Waisenkinder“ zurückgeblieben. Aber die Kontakte mit Amsterdam und der dortigen chinesischen Gemeinschaft in den Niederlanden sorgten dafür, dass Ma Jiangbao in die Niederlande kommen konnte, wo er in Rotterdam lebte und unterrichtete. Die chinesische Gemeinschaft sorgte für ein Vierjahresvisum, später heiratete er und bekam schließlich einen niederländischen Pass. Über meine Kontakte erfuhr ich bald, dass Meister Ma nun in Holland lebte. Er wohnte im Ocean Paradise, einem schwimmenden chinesischen Restaurant und Hotel am Fuße des Euromast in Rotterdam. Dort gab es auch eine Wushu-Schule, wo Meister Ma die Chinesen und ihre Kinder unterrichtete.
In der Zwischenzeit hatte die deutsch-niederländische Gruppe der Schüler Kontakt gehalten und viel trainiert. Sobald ich erfahren hatte, wo Meister Ma sich aufhielt, bin fuhr ich zu ihm, um zu fragen, ob er für uns nach Venlo kommen würde. Es war ein ganz besonderes Wiedersehen. Nach der ersten Begrüßung bot er mir ein großes Bier an. Anschließend gingen wir nach oben und praktizierten eine Stunde Tuishou (Pushing Hands). Natürlich wusste ich nicht was er tat oder wie er es tat, aber zum Schluss war ich sehr vertraut mit allen Ecken seines Zimmers. Später realisierte ich, dass ich eine Menge gelernt hatte aus dem was er mich fühlen ließ in dieser Stunde. Zurück nach unten bekam ich ein weiteres großes Bier diesmal begleitet mit einem ausgedehnten Essen nachdem er mich dann fragte weshalb ich gekommen war. Ich fragte ihn also, ob er nach Venlo kommen könne, um seinen Unterricht fortzusetzen. Nun, er war bereit! Und so begann es in Venlo. Ich organisierte von Anfang an den Unterricht für Meister Ma und nach und nach wurde Venlo das deutsch-niederländische Zentrum für seinen Unterricht. Zu der Zeit durfte er aus Visumsgründen nicht über die Grenze nach Deutschland, weshalb die deutschen Schüler nach Venlo kommen mussten. Einige Jahre später als die Grenze sich für ihn öffnete, weil er seinen holländischen Pass hatte, organisierten die deutschen Schüler Unterricht und Seminare in Düsseldorf und erweiterten so seinen Unterrichtbereich nach Deutschland. Besonders Martin Bödicker und seiner Schülerin und späteren Frau Freya gebührt die Anerkennung hierfür. So begann aus Venlo die Verbreitung von Meister Mas Taiji in Europa. In diesen frühen Tagen wurde der EWTC, die European Association for Wu Taiji, gegründet. Viele Übende wurden Mitglieder. Später organisierte der EWTC Lehrerprüfungen bei denen Meister Ma die Kandidaten persönlich prüfte. Von Beginn an waren Meister Ma Jiangbao und seine Eltern Ehrenmitglieder des Vereins. Alle Mitglieder des Vereins, besonders die Lehrer, lernten sein Taiji. Er war die einzige echte Quelle.
Höhepunkte dieses Aufschwungs waren die Pfingstseminare in Venlo, die Taiji Darbietungen auf der Museumsinsel Hombroich und die Übungsreisen nach Kazimierz (Polen). Ein weniger positiver Punkt der Entwicklung des Wu Taiji seit 1986 in Europa war der Moment, als einige Mitglieder beschlossen den demokratischen EWTC zu verlassen, um kommerzielle Schulen aufzubauen. Sie wollten das Unterrichten zu Ihrem Beruf machen und eine Organisation leiten die niemandem Rechenschaft schuldete ausgenommen vielleicht Meister Ma selbst. Die demokratische Organisation und der familiäre Charakter des EWTC’s passte nicht sehr zu diesen Bestrebungen. In der Folge verließen manche Mitglieder den Verein. Es blieben aber genügend, um das Wu Taiji in Europa auch über den Verein weiter zu verbreiten. Heute gibt es wachsende Zentren in den Niederlanden, Deutschland (in Kölnund am Bodensee z.B.), Österreich, Spanien, Italien, Frankreich und Rumänien. Meister Ma selbst hat nie eine Seite gewählt, er hat immer Alle gleichsam bedient. Auch heute zu Tage besteht die Teilung leider weiterhin fort. Wir hoffen aber, dass der Verlust von Master Ma Jiangbao die Übenden seines Taiji wieder enger zusammenrücken lässt, um sein Vermächtnis für die Zukunft zu erhalten.
Der Lehrer
Meister Ma Jiangbao hat aber nicht nur Taiji praktiziert, er verkörperte die ursprüngliche und außerordentliche Tradition der Familie Wu / Ma. Weltweit ist Wu Taiji einer der am meisten praktizierten Stile. Meister Ma war ein außergewöhnlich bescheidener Mensch, zu allen gütig und respektvoll. Seine liebevolle Art und Weise des Unterrichts war inspirierend und motivierend für seine Schüler. Er war immer geduldig und beantwortete alle Fragen, die wir „Langnasen“ ihm, ganz anders als in China üblich, stellten. Dabei wurde nicht nur das Wie, sondern auch das Warum geklärt. Sein Hands-on-Ansatz machte einem sofort klar, warum eine Bewegung auf eine bestimmte Art ausgeführt werden sollte und nicht auf eine andere. Nicht weil er es so sagte, sondern weil er es so gezeigt hat, dass das Taiji für sich selbst kommunizierte, dass es so sein muss und nicht anders sein kann. Auf diese und noch andere Weisen (wie z.B. vormachen) konnten die Schüler die Erfahrungen machen, die ihnen weiterhalfen. Sein Spruch dazu war: „Man muss wissen was man fühlt und fühlen was man weiß.“ Die Formen, die er weitergab, sind von ungekannter Präzision (eine der wichtigsten Kriterien für korrektes Üben). Auch sind sie rein, d.h. vollständig bis in die kleinsten Details: alles Erforderliche ist enthalten, aber auch nicht mehr als das. Nichts zu wenig und nichts zu viel (keine unnötigen Verzierungen). Seine Ausführung und der Fluss waren unübertroffen und atmeten die Schönheit der Stille. In seinem Ansatz war keine Spur von der “Unbestimmtheit”, die in vielen modernen Taiji Varianten zu sehen ist. Er war ein Lehrer der sachlichen Art. Wenn er Leute sah, die sich auf sogenannte Tai-Chi-artige Weise bewegten, bemerkte er gerne: „Das ist kein Taiji, das ist Tanzen.“ Er meinte damit nicht, dass das schlecht oder minderwertig war, er hatte nichts dagegen. Das kann schön sein und als Übung auch gut und nützlich, aber aus seiner Sicht war Taiji etwas ganz Anderes. Man sollte es nicht mit Taiji verwechseln oder als solches verkaufen.
Sein Pushing Hands war unerreicht. Er fühlte sich niemals hart an und dennoch konnte er einen jederzeit in eine beliebige Richtung werfen. Es war, als könne er die Bewegungen im Voraus lesen und diese ins Nichts neutralisieren. Er liebte es Push Hands zu machen. Ich selbst habe es oft mit ihm demonstriert und es war immer ein lehrreiches Vergnügen. Tuishou/ Pushing Hands war für ihn äußerst wichtig, um den Kern der Bewegungen sichtbar zu machen. Die lange Form und Tuishou waren für ihn zwei Seiten der gleichen Medaille: Die eine Seite kann ohne die andere nicht bestehen und zusammen bilden sie den Kern des Taiji. Dabei genoss er sehr den physischen Kontakt mit seinen Schülern beim Üben.
Als Schüler musste man sich nach seiner Ansicht auch zu einem besseren Menschen entwickeln. Genau das lebte er allen vor. Leider hatte er keine eigenen Kinder. Vielleicht hatten deshalb viele, die ihm näherkamen, das Gefühl seine Kinder zu sein, vor allem im Kreis der Tudis, den engsten Kreis um ihn herum.